Eva-Maria Bruhn: Eine vergessene Heldin!

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Wenn man Google nach “Eva-Maria Bruhn” befragt, findet man nicht sonderlich viel zur Person, die man in der DDR mit folgender Reproduktion ihres Fotos als Plakat würdigte:

Beim einzigen Dokument, das im Internet öffentlich zugänglich auffindbar ist, handelt es sich um eine kulturwissenschaftliche Ausarbeitung von Christina Writh M. A. vom Institut für Volkskunde der Uni Hamburg mit dem Titel „Die Tagebücher einer Helgoland-Besetzerin des Jahres 1951. Ein Leben zwischen zwei politischen Systemen“, die hier eingesehen werden kann und aus der folgenden Auszüge stammen:

Wer war Eva-Maria Bruhn?

Eva-Marie Bruhn wird am 3. Oktober 1934 in Hamburg geboren. Mit der Mutter lebt sie die ersten Lebensjahre zur Untermiete bei einem Ehepaar, welches sich um sie kümmert, wenn die Mutter arbeitet. Vom Vater wird nur selten in den vorliegenden Tagebüchern berichtet. Wenn sie über ihn schreibt, geht es hauptsächlich um nicht getätigte Unterhaltszahlungen. In ihren autobiographischen Erinnerungen, die Eva-Marie Bruhn im Jahr 1987 aufgeschrieben hat, berichtet sie ausführlicher über den »Erzeuger«.²²¹
Wegen seiner Spielsucht hatte die Mutter ihn trotz der Schwangerschaft nicht heiraten wollen.

Die ersten beiden Schulklassen besucht Eva-Marie Bruhn in Hamburg. Aufgrund der noch vorhandenen Zeugnisse lässt sich ihre schulische Ausbildung recht lückenlos nachzeichnen. Nach der Ausbombung in Hamburg kommt sie 1943 mit ihrer Mutter nach Mirow in Mecklenburg, woher die Familie der Mutter stammt. Dort geht sie in die dritte Klasse. Die vierte Klasse besucht sie im Schuljahr 1944/45 in Schönau, Kreis Eggenfelden. Zu dieser Zeit lebt sie mit ihrer Mutter im Flüchtlings- und Durchgangslager Warburg in Eggenfelden, wie aus dem noch vorhandenen Flüchtlings-Meldeschein zu ersehen. 1946 werden Eva-Marie Bruhn und ihre Mutter von den Amerikanern ausgewiesen. Nun leben Mutter und Tochter zusammen mit einer Schwester der Mutter und deren zwei Kindern beim Großvater in Hamburg-Waltershof. Von 1946 bis 1951 leben Mutter, Tochter und Tante in Hamburg-Finkenwerder. Dort besucht Eva-Marie Bruhn die Aueschule. 1948 werden Mutter und Tochter bei einer anderen Familie in ein Zimmer zwangseingewiesen. 1949 beendet die Protagonistin die Volksschule nach der achten Klasse. Anschließend besucht sie eine Hauswirtschaftsschule. Aus Zeugnissen von Arbeitgebern geht hervor, dass
die Tagebuchautorin von 1950 bis Ende März 1951 als Bürohilfe in Hamburg tätig ist.

Aus einer ihrer publizierten Rede, die in schriftlicher Form vorliegt und am 26.4.1951 in Hamburg-Finkenwerder gehalten werden sollte, erfährt man, dass Eva-Marie Bruhn zur 2. Delegation der »Helgolandfahrer« gehörte.²²²

Am 31.3.1951 landete sie mit weiteren Jugendlichen auf der Insel, um deren Freigabe vom britischen Militär zu erreichen. Die Jugendlichen, die u. a. zur »Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken«, der Jugend-organisation der SPD (Eva-Marie Bruhn ist zu dieser Zeit Mitglied bei den Falken), und zur West-FDJ gehörten, wurden festgenommen und vom britischen Militärgericht verurteilt. Eva-Marie Bruhn wurde zu einem Jahr auf Bewährung bestraft. Sie verliert ihre Arbeit und geht auf Wohnungssuche. 1951 ziehen Mutter und Tochter in eine Neubauwohnung in Hamburg-Billstedt.

Diese »Landung« auf Helgoland ist der Auslöser einer Reise in die damalige DDR. Vom 22.6.1951 bis 23.8.1951 wird Eva-Marie Bruhn zu einer Rundreise durch die DDR, deren Höhepunkt die 3. Weltfestspiele der Jugend in Berlin darstellten, eingeladen. Zu dieser Zeit schreibt sie intensiv Tagebuch. Nach ihrer Rückkehr nach Hamburg besucht sie die »Rackow Handels- und Sprachen-Schule«. Eva-Marie Bruhn lernt Rolf Hansen kennen, der Mitglied der FDJ ist.²²³ Sie wird schwanger und heiratet ihn.²²⁴ Zu diesem Zeitpunkt, mit diesem Ereignis endet das letzte vorliegende Tagebuch.²²⁵ Aus weiteren Unterlagen ist zu ersehen, dass die erste Tochter 1953 geboren wird, ihr folgen 1956 ein Sohn und 1971 die zweite Tochter. Zu ihrem weiteren Lebenslauf liegen nur ungenaue Angaben vor. Beruflich ist sie in verschiedenen Firmen tätig — als Telefonistin oder als Sekretärin. Ihr Mann Rolf stirbt 1975. Eva-Marie Bruhn heiratet 1978 ein zweites Mal. Die Ehe ist nicht von Dauer.

Nach Aussage eines Mitarbeiters des Stadtteilarchivs Hamburg-Hamm starb Eva-Marie Bruhn Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre. Sie gibt selbst auch einen Hinweis auf die Krankheit: »Wie, wann, ob ich überhaupt Sieger über den Krebs bleibe, das weiß niemand.«²²⁶ Die Angehörigen überließen eine Reihe von Tagebüchern und anderen Unterlagen dem Stadtteilarchiv.

Da kein Kontakt zu Angehörigen zustande gekommen ist und der genaue Todestag nicht ermittelt werden konnte, sind diese Angaben lückenhaft. Es wurde jedoch ein grober Überblick über das Leben von Eva-
Marie Bruhn geboten, um ihre Tagebucheintragungen verständlicher zu machen, die ihre subjektiv erlebte Zeitgeschichte spiegeln.

Eva-Marie Bruhn ist — wie aus den die Tagebücher begleitenden Unterlagen ersichtlich ist — seit 1954 Gewerkschaftsmitglied. Obwohl es im Mitgliedsbuch der DAG (Deutsche Angestellten Gewerkschaft) heißt: »Von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sind […] Mitglieder von Organisationen,
die ein totalitäres Staatssystem anstreben«²²⁷, tritt sie 1955 in die KPD ein, bleibt jedoch weiterhin Mitglied der DAG, was an den Beitragsmarken zu erkennen ist, die bis 1961 in das Mitgliedsbuch geklebt wurden. An eingeklebten Marken im KPD-Mitgliedsbuch lässt sich zudem ablesen, dass Eva-Marie Bruhn an »Parteischulungen« teilgenommen hat. Nach dem Verbot der KPD (im Mitgliedsbuch der Partei befinden sich Sondermarken im Wert von 1,20 DM gegen den KPD-Verbotsprozess) wird sie 1968
Mitglied der DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Ein Mitgliedsbuch der Jahre 1975-1978 liegt vor. Außerdem muss Eva-Marie Bruhn auch Mitglied der ÖTV (Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und
Verkehr) gewesen sein, denn 1979 erhält sie eine Ehrenurkunde für die 25-jährige Mitgliedschaft.

Es wird also deutlich, dass die Autorin der Tagebücher ihr politisches Engagement beibehielt. Die Landung auf Helgoland und die Reise in die DDR können somit kaum etwa nur als »jugendliche Abenteuer« oder als Ausdruck pubertären Protests angesehen werden — sie ist vielmehr Ausdruck einer lebenslangen, linken bis kommunistischen politischen Haltung. 1985 erschien eine Arbeit von Herbert Szezinowski über die Helgolandfahrer.²²⁸ Sie enthält Interviewpassagen mit Eva-Marie Bruhn, welche für ihre Zeit auf Helgoland sehr aufschlussreich sind, obwohl der Autor die Besetzungen der Insel politisch sehr einseitig, im Sinne der FDJ und KPD, darstellt. Analysiert man dagegen die Tagebücher und Unterlagen aus kulturwissenschaftlich-volkskundlicher Perspektive, dann kann es nicht um eine solche Politisierung einer Zeitzeugin gehen, sondern es stellt sich die Frage: Wie ist diese Biographie und wie sind ihre Tagebücher im Rahmen der Geschehnisse ihrer Zeit zu lesen? Im Folgenden werden einige Stichpunkte herausgegriffen, die ihr Erleben, ihre Ansichten und ihren Umgang mit der Situation »Helgoland-Besetzung« darstelle.